· 

Kungsleden: Alesjaure nach Tjäktja

Autor: Michael Fiukowski          🔘         Lesezeit: ~7 Minuten

13KM

4h

200M

Moderat

Zelt


Immer der Nase Nach

Als wir gegen 06:30 Uhr aus dem Fenstern schauen, ziehen schwere Wolken langsam über die vor uns liegende Landschaft. Wir betrachten das Schauspiel minutenlang aus unserem kuscheligen Bett, bis wir aufstehen und uns für den kommenden Marsch vorbereiten. 

" Ich lege das Kissen unter den Kopf und sage minutenlang gar nichts. Ich genieße diesen Augenblick der inneren Ruhe. Selbst am zweiten Tag unserer Reise bin ich noch dabei, das alles hier zu realisieren. Ich habe das Gefühl mich von Anfang an im Flow-Zustand zu befinden. Die Dinge, wie sie kommen und gehen, auf mich einwirken zu lassen und mich ganz hinzugeben. "

Beim Zusammenpacken unseres Equipments schnaubt sich Sarah immer wieder die Nase. Sie ist gesundheitlich echt angeschlagen, hat mit starkem Schnupfen zu kämpfen, aber ist bereit für den Aufbruch. Wir verlassen die STF-Hütte in Alesjaure und verabschieden uns mit Streicheleinheiten vom behäbigen Bernadiner-Hund, den wir Bruno taufen. 

 

Viele Wanderer tun es uns nach dem Frühstück gleich. Das heutige Etappenziel ist Tjäktja und liegt in den Bergen, kurz vor dem höchsten Punkt (1.150m ü.N.N) unserer gesamten Tour. Das Wetter ändert sich gerade so rasant, dass es schlimmer regnet als gestern. Die Regentropfen bewegen sich an der Kapuze hin und her. Unter unseren Schuhen bilden sich kleine Rinnsale, die mit der Zeit immer größer werden. An einigen Passagen des Kungsleden sind die Holzplanken unter Wasser gesetzt. Nägel oder sogar Quer-Bretter fehlen teils komplett, so dass nur der Längstbalken vorhanden ist. Ein Balanceakt, wenn man keine Wanderstöcker dabei hat. 

Expertentipp

Wanderstöcker erweisen sich auf dem gesamten Weg als sehr nützlich. Man kommt deutlich schneller voran, kann sicherer durch Flüsse manövrieren & schwierige Passagen über- bzw. durchqueren und entlastet seine Gelenke bei jedem Schritt.

Wo sind nur all die Anderen?

Wir nehmen den Berg vor uns in Angriff. Das Wasser, egal ob durch Schweiß oder Regen, kommt von allen Seiten. Uns fällt auf, dass wir schon seit einer Ewigkeit niemanden mehr gesehen haben und sind froh, als die Tjäktja-Hütte in Sichtweite liegt. Wir werden freundlich mit heißem Bärensaft von der Hüttenwirtin in Empfang genommen, als wir sie erreichen. 'Hier sind also Alle!' Die Option einer Übernachtungmöglichkeit fällt weg, weil alle Räume belegt sind. Es ist kurz nach Mittag und wir nutzen die Gelegenheit, uns etwas warmes zu Essen zu machen. 

Gut zu Wissen

Trinkwasser gibt es hier, im wahrsten Sinne des Wortes, im Überfluss und die Öfen werden entweder mit Holz beheizt oder wie in vielen Hütten mit Gas. Es gibt nie WLAN in den Hütten, außer an der STF Hütte am Kebnekaise. Dort hat man vollen Handyempfang und, wenn nötig, WiFi.

Der Höhepunkt der Wanderung

Wir erkundigen uns nach dem Wetter. Die Hüttenwirtin verspricht uns in den nächsten Stunden Besserung. Nach zwei Stunden des Aufwärmens & halbwegs getrockneten Sachen, rödeln wir unser Marschgepäck auf und kämpfen uns weiter. Die nächsten 5km verlangen uns einiges an Konzentration ab. Riesige Geröllpassagen verlangsamen unser Tempo und wir ermüden schnell. Die höchste Stelle von 1.150m ist relativ unspektakulär, da wir seit Alesjaure bis hierher nur 200m Anstieg hatten. Hier gibt es eine Notunterkunft (Shelter), die mit Wanderern aus Israel voll belegt ist. Vor uns liegt nun das weite Tal des Fjälls. Es geht relativ steil bergab, aber nicht so sehr, wie es uns von den Hüttenwirten mit erhobenem Zeigefinger eingetrichtert wurde. Wir erreichen nach nicht mal 20 Minuten das Tal.

" 'Schatz, guck mal! Siehst du da vorne die Stelle zwischen den Flüssen? Die sieht perfekt aus. Ich glaube auch kaum, dass wir eine bessere finden werden. Warte ma' kurz hier und ich guck mir die Stelle an.' Die Stelle ist perfekt! Nicht mit Wasser durchtränkt, groß genug, weich und, ganz wichtig, Eben. 'Du kannst her kommen! Es ist der Hammer hier!', rufe ich Sarah zu. "

Die Flüsse ziehen sich feinädrig, zwischen die mit Raureif bedeckten Berge, durch das weite Tal hindurch. Und wieder diese intensiven Farben des schwedischen Fjäll-Herbstes. Es ist spät geworden und die Dämmerung setzt allmählich ein. Wir errichten sichtlich erschöpft unser Zeltlager zwischen zwei kleinen Flüssen und kassieren neidische Blicke von vorbeiziehenden Wanderern.

Kumpel Blase

Wir sind appetitlos und gehen ohne etwas zu essen schlafen. Wir haben nicht wirklich Lust noch etwas zu kochen. Ich stelle den Wecker der Armbanduhr auf 22:00 Uhr und hoffe auf Polarlichter in der Nacht. Im Schlafsack ist es leider wie im Weltraum. Ich höre keinen Alarm und wache verwundert erst gegen Mitternacht auf, weil ich für kleine Wanderer muss. 

" 'Scheiß Blase! Wieso muss ich gerade jetzt pis***?!' Es ist kurz nach Mitternacht und ich winde mich aus den warmen Schlafsack. Die Kopflampe im Rotlicht-Modus, um Sarah nicht zu wecken, öffne ich das Zelt, stapfe schlaftrunken nach draußen und lasse dem biologischen Prozess freien Lauf. Ich habe nur die Unterhose und dicke Daunenjacke an, als ich mich umdrehe, zum Zelt zurück gehe und plötzlich was grünes am Himmel sehe! Tanzende Polarlichter unter fast wolkenfreiem Himmel. Ich hole instinktiv meine Kamera samt Stativ, was ich präventiv am Zelt hingelegt habe, und nutze diese tolle Gelegenheit für ein paar Fotos. Nach den ersten Bildern mache ich Sarah wach, die irgendwie noch im Tiefschlaf ist und nicht so ganz versteht, was hier gerade vor sich geht. Ich erwische sie ausversehen mit dem Ellenbogen am Kopf, weil ich durch die ganze Aufregung so wild umher fuchtel. Arme Sarah! "

" Ich werde wach, weiß gar nicht wo ich bin und erst recht nicht was hier los ist. Micha ist ganz aufgeregt und schon halb aus dem Zelt raus. 'Schatz, komm schnell! Polarlichter!'. So schnell es geht, ziehe ich mich an und stolpere nur so aus dem Zelt. Und tatsächlich, Polarlichter! Ich kann es kaum fassen. "



Kommentar schreiben

Kommentare: 0