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Eisbaden in Rovaniemi

Autor: Michael Fiukowski         🔘         Lesezeit: ~8 Minuten          🔘         Zeitraum: 18.02 - 26.02.2020

Eisschwimmen erlebt momentan eine Art Renaissance in Finnland, auch bei jungen Leuten. Eigentlich war es immer etwas für Ältere – aber jüngere Generationen haben das Schwimmen in eisigem Wasser zu einer Art Modetrend gemacht. Jetzt geht es dabei nicht mehr ums Abhärten, um ein Ritual oder darum, ein echter Macho zu sein, sondern es ist ein erfrischender Energieschub.  [Auszug: https://www.visitfinland.com/de/artikel/erfrischendes-bad-gefallig/]

Unsanft werde ich von Vogelzwitschern und Vibrationen aus den Schlaf gerissen. Bläuliches Licht dringt schwach durch die einzelnen Spalten des Vorhanges in unser Zimmer. Es ist so kuschelig warm im Bett und ich genieße es noch einmal intensiv, bevor ich mich zwinge meine Augen zu öffnen. Gähnend strecke ich alle Gliedmaßen meines Körpers von mir und starte so in den Morgen. Durch meine platz-vereinnehmbaren Bewegungen wird Sarah neben mir wach und bekommt selbst kaum die Augen auf. Warum mein Wecker mit Vögelgeräuschen uns so früh aus dem Schlaf reißt?

In nicht einmal einer Stunde wird meine Körpertemperatur an seine Grenzen gehen und darauf bin ich schon heiß. Für ein einige Sekunden will ich in das klirrend, kalte Wasser des Kemijoki springen. Gut, springen ist etwas übertrieben. Ich werde Zentimeter um Zentimeter ins Wasser gleiten, nur um zu sehen, was mein Körper aushält. Bin ich doch vor ein paar Tagen noch nach der heißen Sauna wortwörtlich in tiefstem Schnee geschwommen.

Den Ängsten stellen

Der Fluss namens Kemijoki passiert Rovaniemi und bietet sowohl für Einwohner als auch Besucher ein besonderes Erlebnis in den Wintermonaten. Hier ist man sich nicht zu Schade eine Badestelle zu schaffen, die nicht nur was für Hartgesottene ist. Am Ufer befindet sich an einer Anhöhe ein kleines Gebäude mit Umkleidekabine und Sauna. Für nur 3€, die man selbstständig in die Kasse des Vertrauens wirft, kann man sich in den Badespaß stürzen. Für 3€ zusätzlich kann man die Sauna nutzen. Die Badestelle selbst ist im wahrsten Sinne liebevoll in Herzform ausgeschnitten. Ein Steg führt zum Herzen des Kemijoki. Sarah und Ich schauten uns den Ort am Vorabend an und betraten den Steg, der mit Gummimatten ausgelegt war. Langsam schritten wir voran und sahen das dunkle Wasser vor uns. An den Rändern sprudelte es aufgewirbelt wie in einem Whirlpool. Ich dachte sofort an die Strömung, die einen unters Eis ziehen konnte. Erst jetzt nahm ich bewusst einen erhöhten Pulsschlag am Hals wahr. Ich wollte es trotzdem & mit fester Überzeugung tun.

Mia würden sagen: "Du bist Eis, Eis-kalt!"

Kurz bevor wir uns auf den Weg machen, checke ich noch einmal das Thermometer. Es zeigt eine Außentemperatur von -12°C an. Die besten Voraussetzungen, um Eisbaden zu gehen. So ist das Wasser, zumindest gefühlt, bestimmt schön warm. Ich packe mir meine Daunenhose und Neopren Schuhe ein. Niemand will mit nassen Füßen bei  -12°C auf kaltem Boden herumlaufen. Man denke nur an die Szene von Dumm und Dümmer, wo die Zunge am eisigen Metall angefroren war. Ich will nicht auch noch zu einer Schneeskulptur werden.

 

Am frühen Morgen, es ist halb 8, ist schon reger Verkehr auf den Wegen & Straßen. Wir beeilen uns noch vor Sonnenaufgang an der Badestelle zu sein. Als wir an der Holzfäller-Fackel (Kerze)-Brücke ankommen, wabert unter der Brücke wellenförmig  der Nebel von den Eisschollen über das Wasser hinweg. Alleine vom Anblick wird mir etwas komisch. Ich bin so konzentriert, 500m vor dem Ziel, dass ich kaum noch wahrnehme, was Sarah mir so mitteilt. Ich bin im Tunnel.

How i became a finnish guy - hard version

Es ist so weit. Ich gehe in die Umkleide und treffe beim Entschälen meines Zwiebelprinzips direkt auf einen älteren Mann, der mich grinsend auf Finnisch begrüßt. Ich erwider sein Grinsen und erzähle ihm, dass es für mich das erste Mal sei und ich mich unheimlich auf das Eisbaden freue. Er war gerade selbst im Kemijoki und erklärt mir, was ich noch zu beachten habe z.B. nicht mit dem Kopf unters Wasser zu tauchen. Ich nicke und bin einsatz-, ich meine eisbadebereit. Das Einzige, was ich noch an meinem Körper habe, sind Neopren Schuhe, Unterhose und die paar Haare auf Kopf, Brust und Beine. 

 

Ich gehe aus der Kabine hinaus ins Freie. Sarah wartet schon ungeduldig mit der Kamera auf mich. Die kalte Luft trifft auf meine Haut. Ich bekomme einen ersten Vorgeschmack auf das, was mich in ein paar Sekunden erwarten wird. Zielstrebig bewege ich mich in Richtung Herz der Finsternis, sozusagen zum schwarzen Loch, verniedlicht durch eine Herzform bestehend aus Eis und Schnee. Ich beachte Sarah kaum, als nur noch wenige Zentimeter zwischen mir und dem Eiswasser liegen. Mir fällt auf, dass das Wasser jetzt komplett ruhig ist und nicht mehr umherwirbelt wie bei einer Stromschnelle. Das beruhigt mich ungemein und gibt Vertrauen. 

Ich setze relativ zügig, ohne groß nachzudenken, meine Füße wie eine Maschine Schritt für Schritt nach vorne und gehe die Treppe hinunter, immer die Hände am Geländer, falls ich wegrutschen sollte. Die erste große Überraschung: Es fühlt sich nicht so schlimm an wie erwartet. Im Gegenteil. Durch die niedrige Außentemperatur ist der Gewöhnungseffekt ans Wasser nicht so extrem wie angenommen und ich gleite förmlich ins flüssige Eis.

 

In nur wenigen Sekunde bin ich bis zum Hals unter Wasser und halte es dort für knapp eine Minute aus. Ich spüre keinerlei Strömung unter mir und so lasse ich mich kurz ins offene Wasser gleiten, schwimme ohne Probleme, bis ich merke wie meine Finger immer mehr verkrampfen und die Hände steif werden. Es reicht fürs Erste und ich gehe mit verhärteter Muskulatur aus dem Wasser.

Ich habe es geschafft! Wooohooooo! Eisbaden ist das coolste, was ich je im hohen Norden erlebt habe. Kurz und Knackig, so wie es gerade wohl auch untenrum bei mir aussieht, könnte man sagen. Ich will mehr und gehe nach kurzer Pause ein zweites Mal hinein. Ich will es ein letztes Mal genießen wie das kuschlig warme Bett heute früh. Gegensätzlicher könnte es nicht sein. Die letzten Minuten hier in Finnland haben es noch mal in sich, bevor es wieder zurück ins nass-mild-kalt-windige Deutschland zurückgeht. Als ich mich abtrockne und wieder anschäle, treffe ich auf zwei Finnen in meinem Alter, die zu mir meinen, dass sie nicht schlecht geguckt haben, als ich ein zweites Mal hineingegangen bin. Auf die Frage, ob ich jetzt ein Finne sei, haben sie nur gegrinst und gemeint: Definitiv! Jetzt bist du einer von uns. Kiitos!

Wo: Ounaskoski Strand

Kosten: 3€ für Saunanutzung / 3€ für Eisbaden 

Physis: Nichts für Menschen mit Herz-Kreislauf-Problem und/oder Erkältung

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